Musclecar. Ein Schlagwort aus vergangenen Zeiten. Dachte ich. Mit grimmigem Blick steht er vor mir, der 2012er Camaro. Als Cabrio. In schwarz. Zugegeben hätte ich lieber den weißen gefahren, da die Karosserie-Linien besser zur Geltung kommen. Ist aber alles Nebensache, sobald das 6,2 Liter V8-Aggregat angelassen wird. Radio? Braucht kein Mensch. Die Symphonie aus dem Motorraum reicht vollkommen.
Aber der Reihe nach: Auf Einladung von Chevrolet durfte ich den Volt nach Sylt fahren und am nächsten Tag den Camaro zurück nach Hamburg. Gemeinsam mit dem Kollegen Frank Mertens (Autogazette).
Größer könnte der Unterschied nicht sein. Zukunftsweisendes Elektro-Auto gegen ein Relikt der Vergangenheit. Großer Motor. „Spritfresser“. Ein echter Anachronismus.
Für wen ist denn dieser Wagen der Richtige? Einen Individualisten. Oder eine Individualistin. Mit unter 39.000 Euro für das Schaltgetriebe-Coupé und 46.000 Euro für das Automatik-Cabrio ist der Preisrahmen erschwinglich. „Leistbar“ ist das Schlagwort das Chevrolet hier verwendet.
Der Großvater des Camaro – das 1969er Modell – stand Pate für die Form. Die Technik ist aktuell. Es wurde ein spezielles Fahrwerkssetup für Europa entwickelt, dass auch die Amerikaner direkt ab Werk ordern können. Ist der Camaro Herausvorderer auf Augenhöhe zu perfekt abgestimmten Sportwagen aus europäischer Produktion? Nein. Es bleibt ein Auto, dass bei ausgeschaltetem ESP und kurvigen Straßen einen „wissenden“ Piloten braucht. Mit ESP verhält er sich hingegen sehr gutmütig.
Das alles interessiert Sie aber nicht wirklich, oder? Der Motor ist das, was diesen Wagen zum Kultobjekt macht. So habe ich es erlebt: Kaltes Frühlingswetter. Windig ist es auf Sylt. Ich versuche im winzigen Kofferraum meinen Pilotenkoffer unterzubringen. Genauso der Kollege. Das klappt tatsächlich. Größere Gepäckstücke müssen auf den Rücksitz. Man sitzt tief im Camaro. Die Sitzheizung funktioniert. Gut so. Die Einstellung von Sitz, Lenksäule und Spiegeln passen auch nach kurzer Zeit.
Dann einen kurzen Moment innehalten: Ich drehe den Schlüssel. Der V8 brabbelt sofort. Die typische Zündfolge ist zu erspüren. Er läuft „unkultiviert“. Aber nicht unangenehm. Nur sehr ungewohnt in einer Zeit, wo man den Motor eigentlich nicht mehr spürt. Ich denke an meinen alten 1968er Firebird – das Schwestermodell damals. Auch mit 6,6 Liter-Maschine. Es ist der gleiche Schauer, der mir damals über den Rücken lief. Der Tritt auf´s Gaspedal zaubert mir ein Grinsen auf´s Gesicht, dass bis zur Ankunft in Hamburg – und noch einige Zeit danach – bestehen blieb. Als erstes steht eine Rundfahrt auf der Insel an. Ich muss mich beherrschen das Gaspedal nicht voll durchzutreten. Der Motor nimmt das Gas unvermittelt an. Die 569Nm-Drehmoment zerren an der Antriebswelle und beschleunigen die Fuhre wie am Gummiband. Es macht einfach einen Heidenspaß. Das Head-Up-Display ist eine feine Sache. Außer der Geschwindigkeit und ggf. Drehzahl, braucht man eh keine Informationen.
Irgendwann waren wir der Meinung das Cabrio-Verdeck zu öffnen. Dafür brauchten wir die Bedienungsanleitung. Und selbst dann ging es nicht einfach. Auch die Abdeckung des Verdecks ist „fummelig“. Das ist nicht zeitgemäß. Die offene Fahrt war kein Genuss, bei 12 Grad Außentemperatur. Es ist windig im Wagen. Selbst bei 80km/h. Da haben die Ingenieure leider in den vergangenen 40 Jahren nicht viel dazugelernt. Für mich ein Grund das Coupé zu bevorzugen. Vielleicht ist es anders, wenn man ein Windschott installiert. Für mich aber ein NO-GO. Also wurde das Verdeck schnell wieder geschlossen.
Mit dem Autozug ging es Mittags auf´s Festland. Die 50km Landstraße bis zur A7 durfte ich fahren. Und es hat Spaß gemacht! Im zweiten Gang hinter einem LKW. Rausfahren. Vollgas. Und die Nadel steht in gefühlten Sekundenbruchteilen bei über 100. Die Beschleunigung ist brutal. Mein Führerschein stand permanent zur Disposition. Wenn ich dieses Auto besitzen würde, müsste ich wohl in kürzester Zeit meinen Lappen abgeben. Ich bin (noch) nicht reif genug dieses Geschoss bei geltenden deutschen Verkehrsregeln zu bewegen. Das musste ich gerade auf der Autobahn erfahren. Ich will nur das Gaspedal durchtreten und die Gänge ausfahren. Ich genieße die V8-Symphonie in vollen Zügen. Bei 250 ist mit dem Vortrieb Schluss. Und da ist man sehr schnell. Aber über 220 wird der Wagen unruhig. Er wurde nicht für deutsche Hochgeschwindigkeits-Autobahnen entwickelt. Den Durchschnittsverbrauch gibt Chevrolet mit 14,1 Litern an. Ich habe – trotz Bleifuß – nicht mehr als 15,5 gebraucht. Für die Leistung und den Spaß ein akzeptabler Wert.
Der Camaro ist voll ausgestattet und die Zubehörliste ist kurz. In Deutschland wird nur das Topmodell angeboten. Außer Coupé/Cabrio und Schaltung/Automatik muß man neben der Farbgebung keine großen Entscheidungen treffen. Unterwegs ist man auf 20 Zöllern mit 245er Breite vorne und 275ern hinten. Versicherungseinstufung (Haftpflicht/Vollkasko/Teilkasko): 16/30/26. Und man bekommt 3 Jahre Garantie (oder bis 100.000km). Heutzutage auch nicht mehr üblich.
Mein Fazit: Ich mag den Camaro. Es ist kein glattgebügelter Einheitswagen. Die Formgebung ist „muskulös“. Der Motor ein Traum. Ich würde das Coupé kaufen. Und mit der Zeit auch lernen die über 400PS „sinnig“ einzusetzen. 😉
Und hier die Fotos…